Ganz am Anfang der Corona-Krise, da waren die Schulen und Kindergärten noch geöffnet, habe ich auf Twitter aus nichts als einer Laune heraus gefragt, ob es unter den Virologen in Deutschland eigentlich auch Frauen gäbe, und erntete das, was man einen veritablen Shitstorm nennt.
Die allermeisten fanden, ich fasse das jetzt einmal so freundlich wie möglich zusammen, dass es nun doch wirklich der falscheste Zeitpunkt für solcherart "Gedöns"-Fragen sei. Hätte ich denn nicht begriffen, wie ernst die Lage sei? Dass es doch völlig nebensächlich sei, ob Männer oder Frauen oder Männer und Frauen mit Migrationsgeschichte uns retteten? Denn ja, im Moment ginge es um nichts anderes als unser Überleben.
Die Expertendämmerung
Meine Frage auf Twitter hatte also,
ohne dass ich es ahnen konnte, in eine Art Wespennest gestochen. Zu diesem Zeitpunkt, ich erinnere noch einmal daran, war das Land
ganz versessen auf Christian Drosten und seinen täglichen Podcast. Man soll
mich nicht falsch verstehen, ich habe überhaupt nichts gegen Christian Drosten,
aber der Virologe war, ohne es zu wollen, so etwas wie die Vorhut einer
männlichen Expertendämmerung.
Seither hören wir wie gebannt all
den männlichen Wissenschaftlern und ihren Zahlenanalysen zu. Wir schauen den
männlichen Politikern bei uns und im Ausland zu, wie sie die Pandemie zu lösen
und sich wie nebenbei zu profilieren versuchen. Und wenn uns das noch nicht
reicht, können wir auch noch stapelweise Interviews und Texte von männlichen
Soziologen, Philosophen, Ökonomen, Unternehmern, Schriftstellern und
Therapeuten lesen, die uns erzählen, wie sie durch die Krise kommen oder auf
welche Art wir anderen es versuchen sollten.
Wären da nicht Angela Merkel, Juli Zeh
und die Infektiologin Marylyn Addo, man könnte den Eindruck gewinnen, unser Land
bestünde ausschließlich aus Männern. Aber, halt! Das ist ja auch so, unser Land
besteht in den Chefetagen noch immer größtenteils aus Männern, und wer in all
den feministischen Debatten der vergangenen Jahre eventuell den Eindruck
bekommen hatte, daran hätte sich irgendetwas geändert, der wird nun mit den
kalten Tatsachen konfrontiert. All die Chefs wissenschaftlicher,
medizinischer oder virologischer Institute sind größtenteils Männer, die meisten
Chefärzte von Kliniken und Pflegeeinrichtungen sind ebenso Männer wie der übergroße
Teil der Ökonomen und Politiker. All das ist bekannt. Man weiß das aus allen
möglichen statistischen Erhebungen und Faktenanalysen. Nun, in der Krise, wird
es uns noch einmal anschaulich und sichtbar vor Augen geführt.
Markus Söder, Jens Spahn, Olaf
Scholz, Armin Laschet, Lothar Wieler, Alexander Kekulé, Hendrik Streeck, Jonas
Schmidt-Chanasit, Clemens Fuest und andere, sie alle zusammen bilden das Gesicht
dieser Krise. Natürlich haben sie gewiss auch Mitarbeiterinnen und Kolleginnen,
aber als sprechfähig betrachtet werden die Männer. Und in den Talkshows werden
sie allenfalls flankiert von meist weiblichen Pflegerinnen, Krankenschwestern,
Kita-Erzieherinnen, Jugendamtsmitarbeiterinnen, Friseurinnen und Supermarktkassiererinnen,
die dann auch mal kurz berichten dürfen, wie es draußen im Land wirklich
ausschaut.
"Das Virus macht die Gesellschaft
wieder viril, männlich", schrieb die Journalistin Heide Oestreich kürzlich in einer
Kolumne. Ich würde ja eher sagen, das Virus zeigt unsere Gesellschaft wieder so
viril, wie sie eigentlich ist. Nun jedoch offen, hemdsärmelig und breitbeinig, ohne
schlechtes Gewissen und ohne verschämte Gesten.
Wie sagte Markus Söder kürzlich in
einem Spiegel-Interview: "In der Krise wird oft nach dem Vater gefragt." Obwohl,
um einmal im Bild der Familie zu bleiben, von den 1,6 Millionen
Alleinerziehenden in Deutschland 1,44 Millionen Frauen sind und ungefähr die
Hälfte der Väter keinen Unterhalt zahlen. Und wie forderte die Werteunion,
der sehr konservative Flügel der CDU, auf Twitter: "Diese schlimme Zeit macht
jetzt hoffentlich auch dem Letzten klar, dass Professoren für Medizin, Chemie und
Biologie unendlich viel wichtiger sind als solche für 'Gender Studies'."
Obwohl der Anteil von Frauen in den
sogenannten systemrelevanten Jobs bei 75 Prozent liegt. Und es gerade solche Wissenschaftlerinnen
sind, die sich unter anderem mit der schlechten Bezahlung von Frauen in
Pflegeberufen, sogenannter Care-Workerinnen, beschäftigen. Trotz des sich
hartnäckig haltenden Klischees, wonach Feminismus eine Angelegenheit von Besserverdienenden sei, waren es immer wieder Feministinnen, die auf solche sozialen Missstände
aufmerksam gemacht und dagegen gekämpft haben. Wo bleibt eigentlich deren
Expertise in diesen Wochen?
Ganz am Anfang der Corona-Krise, da waren die Schulen und Kindergärten noch geöffnet, habe ich auf Twitter aus nichts als einer Laune heraus gefragt, ob es unter den Virologen in Deutschland eigentlich auch Frauen gäbe, und erntete das, was man einen veritablen Shitstorm nennt.
Die allermeisten fanden, ich fasse das jetzt einmal so freundlich wie möglich zusammen, dass es nun doch wirklich der falscheste Zeitpunkt für solcherart "Gedöns"-Fragen sei. Hätte ich denn nicht begriffen, wie ernst die Lage sei? Dass es doch völlig nebensächlich sei, ob Männer oder Frauen oder Männer und Frauen mit Migrationsgeschichte uns retteten? Denn ja, im Moment ginge es um nichts anderes als unser Überleben.